Erfahren Sie, warum die Beurteilung der betriebsnotwendigen Liquidität in der Unternehmensbewertung oft missverstanden wird.
Die Frage, ob der Bestand an liquiden Mitteln eines Unternehmens betriebsnotwendig ist oder nicht, ist im Kontext einer Unternehmensbewertung in der Regel anders zu beantworten als im Rahmen einer Jahresabschlussprüfung, Restrukturierung, drohenden Insolvenz oder in vergleichbaren Sachverhalten. Gerade Wirtschaftsprüfer treten regelmäßig als Unternehmensbewerter auf, sind aber ebenso als Ansprechpartner in der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens gefragt. Häufig führt dies dazu, dass der Begriff im Bewertungskontext falsch ausgelegt wird. Der nachfolgende Beitrag versucht, den Begriff „Betriebsnotwendigkeit“ der liquiden Mittel eines Unternehmens im Kontext der Unternehmensbewertung zu schärfen.
Bewerter begründen die Betriebsnotwendigkeit liquider Mittel regelmäßig damit, dass der Bestand an liquiden Mitteln zum Bewertungsstichtag der Finanzierung bestimmter betrieblicher Maßnahmen dienen soll und daher unverzichtbar, mithin betriebsnotwendig sei. Hier einige Beispiele für Fälle von „vermeintlicher“ Betriebsnotwendigkeit liquider Mittel:
Der Kern der Argumentation pro „Betriebsnotwendigkeit“ besteht zumeist darin, dass bestimmte betriebliche Maßnahmen unmittelbar bevorstehen, die liquiden Mittel der Finanzierung dieser betrieblichen Maßnahme dienen und/oder kurz- und mittelfristig keine andere Form der Finanzierung oder nur zu ungünstigen Konditionen verfügbar wären.
Die Deklaration von liquiden Mitteln als „nicht betriebsnotwendig“ führt dazu, dass diese per Definition als verfügbar erklärt werden und damit grundsätzlich einen zusätzlichen Wert darstellen, der separat und unabhängig vom inneren Wert des operativen Geschäfts des Unternehmens besteht. Die Mittel könnten ebenso ausgeschüttet werden, ohne dass der Wert des Geschäfts beschädigt würde.
Umgekehrt gilt, werden liquide Mittel als „betriebsnotwendig“ deklariert, entfällt dieser zusätzliche Wertbeitrag. Die Mittel sind in diesem Fall ein Produktionsfaktor innerhalb des originären Geschäftsbetriebs. Der Gesamtunternehmenswert kann nur durch den Verbleib dieser Mittel im Unternehmen generiert werden. Der Wert aus Sicht der Eigentümer unterscheidet sich in beiden Fällen um den Betrag der liquiden Mittel.
Der Kern des Problems liegt darin, dass die negative Wirkung der betrieblichen Maßnahme, sei es eine Investition, künftige Personalaufwendungen oder die Darlehensumfinanzierung bereits durch die Technik der Unternehmensbewertung berücksichtigt ist.
Beispiel:
Ein Unternehmen wird zum 31.12.2017 mit einem Kapital von 100.000 € gegründet. Im Zeitpunkt der Gründung werden Verträge über Investitionen in Höhe von insgesamt 100.000 € geschlossen, die eine Auszahlung und Leistungserbringung zum 01.01.2018 vorsehen. Zum 31.12.2018 ist geplant, das fertiggestellte Projekt für 110.000 € nach Steuern zu verkaufen und danach die Gesellschaft zu beenden. Die Kapitalkosten betragen 10% nach Steuern. Wie hoch ist der Wert des Unternehmens nach Gründung der Gesellschaft und Vertragsschluss aber vor Zahlung der Investitionskosten?
Wert der Gesellschaft zum 31.12.2017: 100.000 €
Im DCF-Verfahren gilt: Mittelzufluss nach Steuern Ende 2018 in Höhe von 110.000 €. Diese sind bei Kapitalkosten von 10% nach Steuern zum 31.12.2017 100.000 € wert. Davon abzuziehen sind 100.000 € für Investitionen zum 01.01.2018. Hinzukommen 100.000 € nicht betriebsnotwendige Mittel. Ergibt in Summe 100.000 €.
Sind die liquiden Mittel betriebsnotwendig? Nein.
Klassifiziert man die liquiden Mittel hingegen als „betriebsnotwendig“ aufgrund der vertraglichen Bindungen, dann ergibt sich paradoxerweise ein Wert von Null, d.h. die Firma ist „vermeintlich“ nichts wert.
Im DCF-Verfahren würde gelten: Mittelzufluss nach Steuern Ende 2018 in Höhe von 110.000 €. Diese sind bei Kapitalkosten von 10% nach Steuern zum 31.12.2017 100.000 € wert. Davon abzuziehen sind 100.000 € für Investitionen zum 01.01.2018. Die liquiden Mittel finden keinen Eingang in die Rechnung, da vermeintlich „betriebsnotwendig“. Dies macht in Summe Null.
Der Fehler in der zuvor genannten Betrachtungsweise liegt darin begründet, dass die belastende Wirkung aus der Investition doppelt gezählt wird. Zudem illustriert das Beispiel sehr gut, dass gerade im DCF-Verfahren eine strikte Trennung von Finanzierung und Mittelverwendung aus bewertungstechnischer Sicht der Klarheit und Vermeidung von Fehlern gut tut.
Nicht betriebsnotwendige liquide Mittel:
Das einfachste Beispiel für nicht betriebsnotwendige liquide Mittel ist ein Bankguthaben ohne jegliche Zugriffsbeschränkungen oder Verfügungen anderer. Diese Mittel sind jederzeit verfügbar für den Eigentümer und ausschüttbar.
Betriebsnotwendige liquide Mittel:
Der klassische Fall von betriebsnotwendigen liquiden Mitteln ist die Kassenhaltung im operativen Geschäft. Dies ist häufig in Unternehmen mit Filialgeschäft (Getränkemärkte, Bekleidungsketten, Restaurantketten etc.) der Fall. Zum reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts ist eine gewisse Kassenhaltung nötig, da nicht alle Kunden bar zahlen und fehlendes Wechselgeld Verzögerungen bedeuten könnten. Diese Mittel sind nicht an die Gesellschafter ausschüttbar, da dies den Geschäftsbetrieb einschränken würde. Sie haben vielmehr den Charakter von Working Capital und sind bewertungstechnisch auch genau so zu behandeln.
Einen Sonderfall stellt der sog. „restricted cash“ dar. Hiermit sind Mittel gemeint, die aufgrund rechtlicher Restriktionen nicht ausschüttungsfähig sind. Damit ist keineswegs der o.g. Fall gemeint, in dem aus einer vertraglichen Bindung zur Durchführung einer Investition eine „quasi“ rechtliche Restriktion bzgl. der Ausschüttung der liquiden Mittel abgeleitet wird.
Rechtliche Restriktion heißt in diesem Fall, dass es bestimmte Auflagen zur konkreten Höhe des Bestandes an liquiden Mitteln im Unternehmen gibt. Beispiele dafür sind:
In diesen Fällen kommt es sehr auf den konkreten Bewertungsanlass und auf den speziellen Sachverhalt an, eine pauschale Aussage zur Behandlung ist hier nicht möglich. Eine deutliche Minderung des Wertes aus Eigentümersicht ist hier durchaus möglich, dies umso mehr, je stärker die Restriktion an das originäre Geschäft gekoppelt ist.
In den allermeisten Fällen ist Liquidität nicht betriebsnotwendig und daher als positiver, separierbarer Wertbeitrag aus Sicht des Eigentümers zu betrachten. Betriebsnotwendigkeit hingegen ist bei einem „Minimum“ an Kassenhaltung gegeben, erreicht aber selten eine signifikante Größenordnung. Der Sonderfall „restricted cash“ kann großen Einfluss haben, hier ist eine anlassbezogene Würdigung der Verfügungsbeschränkung durch den Bewerter vorzunehmen.
Betriebsnotwendige liquide Mittel sind Gelder, die für den reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts notwendig sind, wie z.B. Kassenbestände in einem Filialgeschäft. Diese Mittel sind nicht an die Gesellschafter ausschüttbar, da dies den Geschäftsbetrieb einschränken würde.
„Restricted cash“ sind liquide Mittel, die aufgrund rechtlicher Restriktionen nicht ausgeschüttet werden können. Beispiele sind Sicherheitsleistungen aufgesperrten Konten oder gesetzliche Ausschüttungsbeschränkungen.
Die Klassifizierung beeinflusst den Wert des Unternehmens aus Sicht der Eigentümer. Nicht betriebsnotwendige liquide Mittel können als zusätzlicher Wert beitragbetrachtet und ausgeschüttet werden, ohne den operativen Geschäftsbetrieb zu beeinträchtigen.
Wenn liquide Mittel als betriebsnotwendig deklariert werden, entfällt der zusätzliche Wertbeitrag dieser Mittel. Sie werden als Teil des operativen Geschäfts betrachtet und sind notwendig, um den Gesamtunternehmenswert zu generieren.
Ja, z.B. die Kassenhaltung im operativen Geschäft oder „restricted cash“ aufgrund rechtlicher Restriktionen. Diese Mittel sind notwendig für den Geschäftsbetriebund können nicht an die Gesellschafter ausgeschüttet werden.
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